Im Rahmen eines Anhörungsverfahren durch die Enquetekommission des Thüringer Landtages haben wir zu Diskriminierungserfahreungen von LSBTIQ* Stellung bezogen.
Im Regierungsbezirk der polnischen Partnerstadt Zamość wurde eine LGBTIQ*-feindliche Stellungsnahme verabschiedet. Die klare LGBTIQ-feindliche Positionierung von Politik und Kirche in Polen und die Diffamierung von queeren Lebensrealitäten als krank und gesellschaftsschädigend hat schwerwiegende Folgen. Sie bedeutet eine zusätzliche Zunahme von schon bestehender Diskriminierung, Bedrohung und Ausgrenzung von LGBTIQs und bestärkt LGBTIQ-feindliche Akteur*innen.
Mit einem offenen Brief an den Weimarer Stadtrat forfdert ein Netzwerk eine klare Positionierung des Stadtrats und des Oberbürgermeisters.
Im August/September führte der Gleichstellungsausschuss des Thüringer Landtages ein Anhörungsverfahren zum Ausschluss homosexueller Männer bei der Blutspende durch. Anlass war ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ("Generellen Ausschluss homosexueller Männer von der Möglichkeit zur Blutspende aufheben sowie Abbau sonstiger gruppenbezogener Diskriminierung in Bezug auf die Blutspende-Regelungen", Drucksache 5/5838).
Auch unser Verein beteiligte sich mit einer Stellungnahme:
Stellungnahme
zum Antrag „Generellen Ausschluss homosexueller Männer von der Möglichkeit zur Blutspende aufheben sowie Abbau sonstiger gruppenbezogener Diskriminierung in Bezug auf die Blutspende-Regelungen“
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 5/5838)
Mit dem 1998 verabschiedeten Transfusionsgesetz (TFG) sollte, insbesondere in Folge des 1993 bekannt gewordenen „Blutskandals“, eine „sichere Versorgung der Bevölkerung mit Blutprodukten“ (§1 TFG) erreicht werden. Um den jeweils aktuellen, „allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik“ (§12a, §18 TFG) gerecht zu werden, wurde der Bundesärztekammer im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut die Kompetenz zum Erlass verbindlicher Richtlinien erteilt.
Auch nach der aktuellen Fassung dieser „Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie)“i (Hämo-RL) werden bestimmte Personengruppen definiert, die dauerhaft von einer Blutspende ausgeschlossen sind. Nach Nr. 2.2.1 Hämo-RL sind eine dieser Gruppen „Personen, deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten, wie HBV, HCV oder HIV bergen“, wozu im Weiteren „Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM)“ gezählt werden.
Der Verein „Vielfalt Leben – QueerWeg Verein für Jena & Umgebung e.V.“ betrachtet die Festlegung aller MSM pauschal als Risikogruppe als signifikante Benachteiligung, die nicht mit medizinischen oder anderen wissenschaftlichen Fakten begründet werden kann. Damit wird diese pauschale Zuordnung von MSM zu einer vermeintlich homogenen Risikogruppe unter den so Betroffenen als diskriminieren und gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes, sowie der Thüringer Landesverfassung verstoßend angesehen.
Begrüßt und für unerlässlich werden von unserem Verein alle Maßnahmen angesehen, die eine höchstmögliche Sicherheit für Empfänger_innen von Blut und Blutprodukten gewährleisten. Hierbei soll, gemäß der aktuellen Erkenntnisse und Fortschritte von Wissenschaft und Technik entschieden werden ohne pauschale, nicht belegbare Vorurteile zu Grunde zu legen.
Folgende Daten sollen den aktuellen medizinischen und sonstigen wissenschaftlichen Stand hervorheben:
- MSM bilden nach aktuellen soziologischen Studien keinen homogenen Personenkreis. So zeigt beispielsweise die Bochow-Studien eine breite Varianz an Beziehungsformen, der Anzahl von Sexualkontakten und der Sexualpraktiken unter MSMii;
- gleichzeitig berichten die Deutsche AIDS-Hilfe und das Robert-Koch-Institut, dass sowohl das Wissen über, als auch die Anwendung von Regeln des Safer Sex unter MSM weiter verbreitet ist als unter Männern, die ausschließlich heterosexuelle Sexualkontakte habeniii; Weitere Studien belegen, das gerade MSM mit häufigen Partnerwechseln bzw. häufigen Risikokontakten ein hohes Informationsniveau bezüglich Safer Sex besitzeniv;
- zwischen 2000 und 2008 kam es bei den etwa 40 Millionen Blutspenden deutschland-weit zu lediglich 5 HIV-Übertragungenvvi;
- davon haben sich zwei Spender bei homosexuellen Geschlechtsverkehr infiziert, ein weiterer durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr und schließlich zwei weitere bei heterosexuellen Sextourismus; d.h. die Mehrheit der Infektionen ist auf heterosexuelle Personen zurückzuführen
- nach 2008 sind keine weiteren Neuinfektionen auf diesem Wege bekannt geworden;
- Entkräftet werden muss hier die häufig vorgebrachte Argumentation, dass dieser geringe Prozentsatz eben durch den Ausschluss von MSM von der Blutspende erreicht werden konnte: Bereits 1993 belegte eine Studie des Bundesgesundheitsamtes, dass trotz eines Verbotes der Blutspende für homo- und bisexuelle Männer, deren Anteil unter den Blutspendern höher war als der unter den allein heterosexuellen Männern.
- das diagnostische Fenster – also der Zeitraum, in dem eine Neuinfektion noch nicht nachgewiesen werden kann – hat sich in den letzten Jahren deutlich verringert
- bei dem Standard-Test „ELISA/3. Generation“ (der HIV-Antikörper detektiert) wird nach 12 Wochen eine HIV-Infektion in 95% der Fälle korrekt nachgewiesenvii;
- dabei muss betont werden, dass sich diese 95% auf tatsächlich mit HIV kontaminierte Blutkonserven beziehen; in den meisten Blutspende-Einrichtungen sind aber weniger als 1% der Spenden tatsächlich HIV-positiv (davon wiederum sind 90% keine Neu-Infektionen)viii;
- die kostenintensivere „PCR“-Untersuchung (die den HI-Virus selbst detektiert) weist ein diagnostisches Fenster von neun bis zehn Tage auf.
Deutlich wird, dass die zunächst mit dem tatsächlich erhöhten Infektionsrisiko von MSM begründete Ausschluss von MSM der Heterogenität dieser Personengruppe nicht gerecht wird.
Für die Betrachtung in Thüringen sind zwei weitere Zahlen relevant:
- im Jahr 2012 ergab sich in Thüringen die geringste Inzidenz aller Bundesländer (1,53 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner_innen)ix;
- in absoluten Zahlen verteilt sich von den 34 Neuinfektionen in diesem Zeitraum 14 auf MSMx.
Es zeigt sich, dass in Thüringen die Zahl der Neuinfektionen (im Vergleich zu anderen Bundesländern) gering ist und nur zu einem kleineren Teil auf MSM fällt. Die ist sicher Ergebnis der guten Aufklärungsarbeit der lokalen AIDS-Hilfen und weiterer Organsiationen.
Durch die dargestellten Fakten wird deutlich, dass ein pauschaler Ausschluss von MSM bei der Blutspende sachlich nicht begründet ist. Vielmehr ist es diskriminierend und mit Gleichbehandlungsgrundsätzen unvereinbar.
Dies ist auch Position der Kommission für Gesundheit und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments. So erklärte EU-Kommisar John Dalli bereits 2011, „dass 'Sexualverhalten' nicht mit 'sexueller Ausrichtung' gleichzusetzen ist.“ Weiter erklärte er, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie 2002/98/EG, in welcher der Ausschluss von „Personen, deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt“ festgelegt ist, unter umfassender Beachtung der EU-Grundrechtecharta und insbesondere deren Nichtdiskriminierungs-Gebot aufgrund der sexuellen Ausrichtung erfolgen müssexi.
Nicht die (vermeintliche) Zugehörigkeit zu einem Personenkreis, sondern die Anwendung von Regel zur geschützten Geschlechtsverkehr definieren also das konkrete Risiko-Verhalten. Entsprechend sollen Spender_innen-Befragungen nicht die Zugehörigkeit zu Personengruppen abfragen, sondern das jeweilige Risiko-Verhalten bezüglich sexueller Kontakte.
Auch der dauerhafte Ausschluss kann mit o.g. Fakten nicht begründet werden. Vielmehr muss sich die Ausschluss-Zeit (im Falle eines Risikoverhaltens) an das durch die jeweils aktuellen Testmethoden definierte diagnostischen Fenster orientieren.
Als abschließender Aspekt ist die diskriminierende Wirkung der derzeitigen Praxis des Spenderauschlusses zu betrachten: Durch den pauschalen Ausschluss von MSM werden diese Männer unter einen Generalverdacht gestellt, der im öffentlichen Diskurs stigmatisiert. Gleichzeitig wird heterosexuelle Männern ein Freibrief hinsichtlich ihres spezifischen sexuellen Risikoverhaltens ausgestellt. Dies wiegt um so schwerer, da dies durch gesetzliche und weitere, nachgeordnete Festlegungen bestimmt und mit vermeintlich wissenschaftlichen Argumenten belegt wird.
Der Verein „Vielfalt Leben – QueerWeg Verein für Jena und Umgebung“ unterstützt deshalb jedes Engagement hinsichtlich einer vorurteilsfreien, allein auf wissenschaftlichen Fakten fundierten Reform des TFG sowie der Häma-RL. Die im Antrag „Generellen Ausschluss homosexueller Männer von der Möglichkeit zur Blutspende aufheben sowie Abbau sonstiger gruppenbezogener Diskriminierung in Bezug auf die Blutspende-Regelungen“ genannten Beschlüsse scheinen hierfür geeignet. Ein partei-übergreifende Beschluss hierzu würde ein deutliches Zeichen an die Bundesgesetzgebung sowie die Entscheidungsträger_innen in Bundesärztekammer, Paul-Ehrlich-Institut und Robert-Koch-Institut senden.
iiMichael Bochow, „Schwule Männer und HIV/AIDS: Lebensstile, Sex, Schutz- und Risikoverhalten“, 2011, S. 63 ff.
iiiDr. Ulrich Markus, Robert-Koch-Institut, Interview mit box-online
ivEMIS, „EMIS 2010: The European Men-Who-Have-Sex-With-Men Internet Survey“
vBundesärztekammer, „Erläuterungen zum Blutspende-Ausschluss von Männern, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM)“, Seite 8
viDeutschlandfunk, Radiolexikon Gesundheit: Blutspende
viiRobert-Koch-Institut, „Wie sicher ist ein negatives HIV-Testergebnis 4 - 6 - 8 - 12 Wochen nach einem möglichen Infektionsrisiko? Muss ich mich noch mal testen lassen?“
ixRobert-Koch-Institut, „Epidemiologisches Bulletin Nr. 24“ (1. März 2013), Seite 226
Zu einem Antrag "Sexuelle und Geschlechtliche Vielfalt im Thüringer Bildungswesen" im Thüringer Landtag wurde unser Verein um Stellungnahme gebeten. Mit den Erfahrungen des Schulaufklärungsprojektes nennen wir Problemstellen und zeigen Lösungsansätze auf.
Zur Bekanntgabe der Einrichtung einer Thüringer Antidiskriminierungsstelle zeigt sich unser Verein erfreut und sieht Chancen zur Stärkung queerer Rechte.