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Symbolbild Gendernöffentliche Stellungnahme

Gesellschaft formt Sprache und Sprache formt Gesellschaft - Verbote hingegen fördern Vorbehalte und Ausschlüsse

Das Queere Netzwerk Thüringen ist tief besorgt über den Antrag der CDU-Landtagsfraktion, welcher vorsieht, den Gebrauch des generischen Maskulinums für Bildungseinrichtungen und öffentliche Verwaltungen vorzuschreiben.

Sprache ist lebendig - sie entwickelt sich entlang gesellschaftlicher Veränderungen und wirkt wiederum zurück in die Gesellschaft. Mit geschlechtersensibler Sprache entsteht und entwickelt sich ein Instrument, um Menschen entsprechend ihrer geschlechtlichen Identität ansprechen zu können. Dabei werden Gruppen sprachlich miteinbezogen und sichtbar gemacht, die sozial ausgegrenzt sind und unsichtbar gemacht werden. Das sogenannte „generische Maskulinum“ bildet Frauen ebenso wie intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen explizit nicht ab.

Eine größere soziale Relevanz hat der Bedarf nach einer geschlechtersensiblen Sprache erhalten, als das damals unionsgeführte Bundesinnenministerium 2019 mit einer Reform des Personenstandsgesetzes [1] eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts [2] umsetzte, in der das höchste deutsche Gericht einen positiven Geschlechtseintrag für intergeschlechtliche Menschen einforderte. Somit ist auch im deutschen Recht anerkannt, was im medizinischen und gesellschaftswissenschaftlichen Diskurs schon längst Fakt ist: dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Wenn der CDU-Antrag nun von einer „ideologischen Auffassung“ spricht, die angeblich „das biologische Geschlechtersystem von Männern und Frauen infrage stellt“, leugnet dieser nicht nur die faktische Existenz von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen; er zieht auch eine Ideologie der Zweigeschlechtlichkeit der Realität vor.

Ebenso wie das Deutsche Grundgesetz sieht die Thüringer Landesverfassung ein Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes vor. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Dritten Option stellt klar: „Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt auch Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts.“ [3] Bisherige landesrechtliche Regelungen (beispielsweise § 28 Thüringer Gleichstellungsgesetz [4]) setzen dieses Diskriminierungsverbot um. Eine vorgeschriebene Verwendung des generischen Maskulinums wäre ein Verstoß gegen das verfassungsmäßige Diskriminierungsverbot und aus Sicht des Queeren Netzwerks bereits aus diesem Grunde unzulässig.

Das Entstehen einer geschlechtersensiblen Sprache muss ausdrücklich als prozesshafte Entwicklung verstanden werden. So werden Methoden zur barrierearmen Anwendung noch ausgebildet. Dennoch empfehlen Verbände wie der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband [5] sowie eine durch die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik herausgegebene Studie [6] ausdrücklich geschlechtersensible Sprache. Auch für die Verwendung geschlechtersensibler Sprache in der Einfachen [7] und Leichten Sprache [8] existieren entsprechende Empfehlungen. Der Verweis auf vermeintliche Verständnisprobleme in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen (Menschen mit Behinderung, Geflüchtete, Migrant*innen) ist der Versuch, verschiedene marginalisierte Gruppen gegeneinander auszuspielen. Eine tatsächliche (finanzielle) Unterstützung von Projekten für Menschen mit Behinderung, Geflüchtete und Migrant*innen seitens der CDU wäre sicherlich zielführender, als Konflikte zu schüren, wo es in Wirklichkeit keinen Dissens gibt.

Wir laden daher alle dazu ein, an einer Sprache, die alle Menschen anspricht, mitzuarbeiten. Verbote für geschlechtersensible Sprache sind in diesem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess kontraproduktiv. Die Vorschrift zur ausschließlichen Verwendung des generischen Maskulinums führt erst eine Verbotskultur ein, die der Antrag vermeintlichen Gender-Aktivist*innen unterstellt.

Stattdessen bildet ein offener Diskurs über geschlechtergerechte Sprache die Grundlage für eine gesellschaftliche Debatte über diskriminierungsfreie Sprache. Dabei muss der Minderheitenschutz als ein zentraler Bestandteil von Demokratie gewahrt werden: Nicht allein die Entscheidung der Mehrheit, sondern der Schutz von Minderheiten und marginalisierten Gruppen vor Diskriminierung muss Grundlage für demokratische Entscheidungen seien.

Vor dem Hintergrund der aktuell angespannten gesellschaftlichen Lage zeigen sich die Unterzeichnenden tief besorgt über die Wirkung des CDU-Antrags. Der Antrag öffnet nach Meinung der Unterzeichnenden Tür und Tor für antidemokratische Hetze und die weitere Spaltung unserer Gesellschaft. Das Queere Netzwerk Thüringen unterstreicht daher seine Einladung zum offenen Diskurs auch über geschlechtergerechte Sprache.

[1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2018/12/drittes-geschlecht.html
[2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.html
[3] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.html
[4] https://landesrecht.thueringen.de/perma?d=jlr-GleichstGTH2013pP28
[5] https://www.dbsv.org/gendern.html
[6] https://www.bfit-bund.de/DE/Publikation/empfehlung-gendergerechte-digital-barrierefreie-sprache-studie-koehler-wahl.html
[7] https://www.genderleicht.de/gendern-in-leichter-sprache-anleitung/
[8] https://text-welten.com/in-leichter-sprache-gendern-geht-das/

 

Unterzeichnende:

  • Queeres Netzwerk Thüringen
  • LSBTIQ*-Koordinierungsstelle
  • Queeres Zentrum Erfurt
  • CSD Weimar
  • CSD Erfurt
  • CSD Jena
  • Trans*solidarischen Vernetzung Jena
  • Landesausschuss Diversity in der GEW Thüringen
  • Thomas Hoffmann, stell. Landesvorsitzender GEW Thüringen
  • Anna Wegricht
  • Anna Klassen, M.A.

Weitergehende Informationen: